Gibt es Medikamente gegen COVID-19?

Ein Blick auf die aktuelle (pharmazeutische) Lage

Weiterhin verbreitet sich das Coronavirus SARS-CoV-2 rasend schnell. Weltweit rechnen Virologen, Gesundheitsorganisationen und Experten frühestens 2021 (sehr optimistische Prognose) mit einem Impfstoff gegen das SARS-CoV-2 Virus. Weshalb das so lange dauert, hat der SWR übrigens ganz gut erläutert.

Wenn es also so schnell keinen Impfstoff geben wird, muss eben ein Medikament her. Doch auch die Entwicklung eines neuen Medikaments nicht viel schneller von Statten gehen – ganz im Gegenteil. Darum liegen die Hoffnungen nun vor allem auf bereits erhältlichen Wirkstoffen, die derzeit für andere Erkrankungen zugelassen sind und aktuell für einen Einsatz bei COVID-19 getestet werden. Welche das sind, wie sie wirken und wann mit ersten Ergebnissen zu rechnen ist: wir werfen einen Blick auf potenzielle Medikamente gegen COVID-19.

Glossar zu hilfreichen Begriffen

  • Antiviral: beschreibt eine hemmende Wirkung auf das Wachstum und die Vermehrung von Viren
  • Wirkstoff: bezeichnet in der Pharmazie den wirksamen Bestandteil eines Arzneimittels.
  • in vitro: ist die lateinische Formulierung von „im Glas“. Bei in vitro Experimenten gesprochen, so handelt es sich um Forschung, die außerhalb eines lebenden Organismus stattfinden. Das kann im „(Reagenz)Glas“ oder anhand von Zellkulturen stattfinden.
  • in vivo: ist die lateinische Formulierung von „im Lebendigen“. Bei in vivo Experimenten handelt es sich um Studien, die in Kontext eines lebenden Organismus stattfinden.
  • Populationsgröße: beschreibt den Umfang der Studie, also die Anzahl der teilnehmenden Probanden.
  • Klinische Studie: untersucht anhand von Patienten oder gesunden Probanden die Wirksamkeit eines potenziellen Wirkstoffes. Klinischen Studien geht eine prä-klinische Phase voraus, in der der fragliche Wirkstoff bereits erste Untersuchungen durchlaufen hat. Für die Zulassung eines Wirkstoffes als Medikament sind klinische Studien die Vorraussetzung.
  • Randomisierte klinische Studie: klinischen Studien liegt immer ein bestimmtes Studiendesign zugrunde, anhandessen die Studie geplant und durchgeführt wird. Randomisierung bedeutet, dass es im Rahmen der Studie verschiedene Behandlungsarme (z.B. Medikament X, Medikament Y, Placebo) gibt, in welche die Teilnehmer zufällig zugeordnet werden. Randomisierte Studien gelten in der medizinischen Forschung als das verlässlichste Studiendesign, wenn man bei einer eindeutigen Fragestellung eine eindeutige Aussage erhalten und den kausalen Zusammenhang belegen möchte.
  • Vorläufige Studiendaten: viele klinische Studien berufen sich auf Zwischenergebnisse. Läuft eine Studie beispielsweise über ein Jahr, so werden oftmals Zwischenanalysen veröffentlicht, um etwa eine Tendenz abzulesen. Dies sind aber nur vorläufige Daten oder bilden lediglich einen Teil der Gesamtdaten ab. Für robuste Daten und abschließende Ergebnisse ist stets das offizielle Ende einer Studie abzuwarten, bevor man ein Fazit treffen kann.
Artikel über die aktuellen Medikamente gegen COVID-19

Lopinavir und Ritonavir

Die sogenannten antiretroviralen Proteaseinhibitioren Lopinavir und Ritonavir (LPV/RTV) sind in Kombination bereits seit 2000 für die Behandlung von HIV zugelassen. RTV fungiert als eine Art Booster für LPV, das seinerseits die eigentliche antivirale Wirkung entfaltet [1]. LPV konnte bereits bei SARS-CoV-1 und MERS-CoV vielversprechende Ergebnisse erzielen [2,3,4] – Grund genug, es auch auf seine Wirksamkeit gegen SARS-CoV-2 zu untersuchen.

Derzeit laufen randomisierte Studien zur Wirksamkeit und Sicherheit von LPV/RTV bei erwachsenen Patienten mit schweren COVID-19 Infektionen. Dabei wurden die Patienten auf zwei Behandlungsgruppen aufgeteilt. Die eine Gruppe wurde mit der aktuellen Standardtherapie behandelt, während die andere Gruppe zusätzlich zweimal täglich LPV/RTV erhielt. Die Dauer der Behandlung betrug in beiden Gruppen 14 Tage.

Das Ergebnis erbrachte keinen Unterschied hinsichtlich einer Verbesserung des klinischen Bildes. Auch war die Sterblichkeitsrate nach 28 Tagen in beiden Gruppen sehr ähnlich. Daher kommen die Forscher der Studie zu dem Ergebnis, dass LPV/RTV bei der Behandlung älterer COVID-19 Patienten keinen Vorteil gegenüber der bisherigen Standardtherapie zeigt [5] .

Remdesivir

Remdesivir (RDV) ist ein Medikament, das einem Baustein der viralen Erbinformation nachempfunden ist. Damit sich Viren vermehren können, benötigen sie vier verschiedene Bausteine, sogenannte Nukleotidbasen, um ihre Erbinformation zu vervielfältigen. Remdesivir sieht einer dieser Basen sehr ähnlich, ist aber letztlich kein vollwertiger Ersatz. Die Folge: wird statt dem natürlichen Baustein nun Remdesivir in die virale Erbinformation eingebaut, so kommt es zu einem Abbruch der Virusvermehrung.

In seiner Funktion als sogenanntes Adenosin-Nukleotid-Analogon wurde Remdesivir bisher erfolgreich zur Behandlung von Ebola-Virus- oder Marburg-Virus-Infektionen eingesetzt. Nun soll geprüft werden, ob es auch bei COVID-19 wirkt.

Erste in vitro Studien konnten zeigen, dass RDV hemmend auf SARS-CoV-2 wirkt [6]. Zudem gibt es einen veröffentlichten Patientenfall (Einzelreport): der erste in den USA aufgetretene COVID-19 Fall wurde nämlich mit RDV behandelt. Der Patient zeigte nach Behandlung mit RDV eine Besserung des klinischen Zustandes [7].

Auch wenn sich diese Meldungen zunächst positiv anhören, wirklich robust ist die Datenlage natürlich nicht. Daher laufen derzeit verschiedene randomisierte Studien, um den Einsatz von RDV bei COVID-19 besser zu untersuchen. Erste Ergebnisse für Patienten mit milden und schwerem Krankheitsverlauf werden für Ende April 2020 erwartet, weitere Studienergebnisse an anderen Patientengruppen sollen im Mai vorliegen.

Favipiravir

Favipiravir (FPV) gehört ähnlich wie Remdesivir zur Gruppe der Nukleotid-Analoga und hemmt ebenfalls die Virus-Vermehrung. Dieser Wirkstoff findet seit 2014 Verwendung bei der Behandlung von Grippe [8].

Auch hier bieten in vitro Studien erste Hinweise auf eine Wirksamkeit gegen SARS-CoV-2. Ob sich diese Wirksamkeit auch vom Reagenzglas in den menschlichen Organismus übertragen lässt, ist ebenfalls Gegenstand laufender Untersuchungen. Vorläufige Ergebnisse geben Hinweise, dass die Viruslast unter FPV schneller sinkt und auch klinische Lungenparameter deutlich besser ausfallen [9]. Abschließende finale Ergebnisse stehen derzeit aber noch aus.

Chloroquine und Hydroxychloroquine

Die nächsten beiden Wirkstoffe sind im Grunde keine klassischen antiviralen Medikamente. Chloroquine (CQ) und Hydroxychloroquine (HCQ) sind eigentlich Medikamente gegen Malaria. Im Zusammenhang mit viralen Infektionen hemmen CQ und HCQ die Virusverschmelzung mit der Wirtszelle, was schließlich die Virusvermehrung einschränken soll [10].

Erste Studien konnten in vitro eine Wirksamkeit gegen SARS-CoV-2 zeigen [11] und waren der Startschuss für verschiedene klinische Studien. Derzeit laufen die Untersuchungen noch bzw. gibt es bisher nur kleine Fallzahlen, robuste Ergebnisse sind also noch ausstehend.

Interferon

Interferone sind antivirale Breitband-Wirkstoffe, welche die Virusreplikation hemmen. Sowohl Interferon-alpha als auch Interferon-beta zeigten in vitro bereits eine Wirksamkeit gegen SARS-CoV-1 [12,13]. Nun soll untersucht werden, ob Interferon-alpha in Kombination mit anderen antiviralen Medikamenten gegen SARS-CoV-2 wirksam ist. Auch hier soll es in den nächsten Wochen die ersten Ergebnisse geben.

Der Einsatz von Interferonen ist aber nicht ganz unproblematisch, da sie starke Nebenwirkungen haben und daher auch bei anderen Viruserkrankungen nur selten zum Einsatz kommen (sofern es eben bessere Alternativen gibt).

Antikörper gegen Interleukin-6

Als damals SARS und MERS ihr Unwesen trieben, waren sie natürlich auch Gegenstand der Forschung, so wie es SARS-CoV-2 heute ist. Man will verstehen, wie die Erkrankung übertragen wird, welche Symptome sich zeigen und welche Faktoren zum Krankheitsgeschehen beitragen. Was Forschern damals bei SARS und MERS aufgefallen ist: ein bestimmter Botenstoffe des Immunsystem, der den Verlauf der Erkrankung negativ beeinflussen kann, ist deutlich erhöht.

Dieser Botenstoff – Interleukin-6 – findet sich aktuell auch in hoher Konzentration im Blutserum von COVID-19 Patienten [14]. Dies ist zwar nicht wirklich überraschend, schließlich zeigt es eine grundsätzliche Aktivität des Immunsystems an. Dennoch steht zu viel Interleukin-6 bei verschiedenen Erkrankungen im Verdacht, negative Effekte zu entfalten. Um diesem negativen Effekt entgegenzusteuern, kommt Tocilizumab. Dieser Wirkstoff mit dem schier unaussprechlichen Namen ist ein therapeutisch wirksamer Antikörper, der an die natürlichen Bindestellen (Rezeptoren) von Interleukin-6 bindet und diese so für den eigentlichen Bindungspartner besetzt. Die Folge: Interleukin-6 findet keine Bindungsstellen mehr, das Signal des Botenstoffes wird nicht weitergeleitet und es findet keine Wirkung statt. Tocilizumab hat aktuell eine Zulassung für die Behandlung der entzündlichen Erkrankung rheumatoide Arthritis [15].

Eine kleine Studie mit 21 schwer oder kritisch an COVID-19 erkrankten Patienten zeigte, dass 75% der Patienten nach einmaliger Tocilizumab-Gabe, weitaus weniger stark beatmet werden mussten. Zudem schien sich die Dauer eines benötigten Krankenhausaufenthaltes geringfügig zu verkürzen [16]. Um eine Wirkung besser beurteilen zu können, laufen derzeit Studien mit größeren Studienpopulationen. Außerdem wird ein derzeit zweiter Interleukin-6 Antikörper – Sarilumab – ebenfalls auf seine Wirksamkeit bei schweren COVID-19 Verläufen getestet.

Fazit: Medikamente gegen COVID-19

Auch weiterhin verbreitet sich SARS-CoV-2 rasend schnell. Die bereits getroffenen Maßnahmen wie social distancing, Ausgangsbeschränkungen, Schließung von Schulen und Universitäten, vielerorts auch Ausgangssperren und vollständige Kontaktverbote, haben bereits erste Auswirkungen gezeigt. Zumindest haben es einige Länder inzwischen geschafft, die Ausbreitungsgeschwindigkeit zu reduzieren.

Dies ist ein wichtiger Faktor und die Maßnahmen sollten auch weiterhin beibehalten werden, denn dadurch wird Zeit gewonnen, sich dringend nötigen, aber leider zeitintensiven Maßnahmen zu widmen. Etwa der Aufrüstung von Krankenhäusern, der Beschaffung von Material, Etablierung von Diagnoseverfahren und schließlich auch der Entwicklung von Impfstoffen oder Medikamenten.

Die Herstellung einer Prophylaxe (Impfung) bzw. einer Behandlung (Medikamente) ist essentiell. Kaum ein anderes Thema erhält weltweit mehr Forschungsaufmerksamkeit. Auch wenn bisher einige Medikamente auf ihre Wirksamkeit bei COVID-19 getestet wurden, so handelt es sich dabei aktuell hauptsächlich um einzelne Fallberichte oder vorläufige Daten aus klinischen Studien mit kleiner Populationsgröße. Es ist daher essenziell, diese Ergebnisse in größeren Studien zu untersuchen, denn nur so lassen sich verlässliche Aussagen über die Wirksamkeit aber auch die Sicherheit dieser Medikamente treffen.

Es bleibt also weiterhin abzuwarten, welche bereits für andere Erkrankungen zugelassenen Medikamente, eventuell auch bei COVID-19 zum Einsatz kommen könnten. Parallel findet auch weiterhin die Entwicklung eines Impfstoffes statt. Was letztendlich früher verfügbar ist, wird die Zeit zeigen.

Literaturangaben

[1] Cvetkovic RS, Goa KL. Lopinavir/ritonavir: a review of its use in the management of HIV
infection.
Drugs 2003:63:769-802

[2] Chu CM, Cheng VC, Hung IF, Wong MM, Chan KH, Chan KS, et al. Role of
lopinavir/ritonavir in the treatment of SARS: initial virological and clinical findings
. Thorax
2004;59:252-6

[3] Chan JF W, Yao Y, Yeung ML, Deng W, Bao L, et al. Treatment with lopinavir/ritonavir or
interferon-β1b improves outcome of MERS-CoV infection in a nonhuman primate model
of common marmoset
. J Infect Dis 2015;212:1904-13

[4] Kim UJ, Won EJ, Kee SJ, Jung SI, Jang HC. Combination therapy with
lopinavir/ritonavir, ribavirin and interferon-a for Middle East respiratory syndrome
. Antivir
Ther 2016;21:455-9

[5] Cao B, Wang Y, Wen D, Liu W, Wang J, Fan G, et al. A trial of lopinavir-ritonavir in adults
hospitalized with Severe Covid-19
. N Engl J Med 2020;DOI: 10.1056/NEJMoa2001282

[6] Wang M, Cao R, Zhang L, Yang X, Liu J, Xu M, et al. Remdesivir and chloroquine
effectively inhibit the recently emerged novel coronavirus (2019-nCoV) in vitro
. Cell Res
2020;30:269-71.

[7] Holshue ML, DeBolt C, Lindquist S, Lofy KH, Wiesman J, Bruce H, et al. First Case of
2019 Novel Coronavirus in the United States
. N Engl J Med 2020;382:929-36

[8] Furuta Y, Takahashi K, Kuno-Maekawa M, Sangawa H, Uehara S, Kozaki K, et al.
Mechanism of action of T-705 against influenza virus. Antimicrob Agents Chemother
2005;49:981-6

[9] Qingxian C, Minghui Y, Dongjing L, Jun C, Dan S, Junxia X, et al. Experimental Treatment
with Favipiravir for COVID-19: An Open-Label Control Study
. Engineering 2020.

[10] Mauthe M, Orhon I, Rocchi C, Zhou X, Luhr M, Hijlkema KJ, et al. Chloroquine inhibits
autophagic flux by decreasing autophagosome-lysosome fusion
. Autophagy
2018;14:1435-55

[11] Liu J, Cao R, Xu M, Wang X, Zhang H, Hu H, et al. Hydroxychloroquine, a less toxic
derivative of chloroquine, is effective in inhibiting SARS-CoV-2 infection in vitro
. Cell
Discov 2020; DOI: 10.1038/s41421-020-0156-0

[12] Ströher U, DiCaro A, Li Y, Strong JE, Aoki F, Plummer F, et al. Severe acute respiratory
syndrome-related coronavirus is inhibited by interferon-alpha.
J infect Dis
2004;189:1164-7.

[13] Hensley LE, Fritz LE, Jahrling PB, Karp CL, Huggins JW, and Geisbert TW. Interferon-beta
1a and SARS coronavirus replication
. Emerg Infect Dis 2004;10:317-9

[14] Huang C, Wang Y, Li X, Ren L, Zhao J, Hu Y, et al. Clinical features of patients infected
with 2019 novel coronavirus in Wuhan, China
. Lancet 2020;395:497-506

[15] Oldfield V, Dhillon S, Plosker GL. Tocilizumab: a review of its use in the management of
rheumatoid arthritis
. Drugs 2009;69:609-32.

[16] Xu X, Han M, Li T, Sun W, Wang D, Fu B, Zhou Y, et al. Effective treatment of severe
COVID-19 patients with tocilizumab
. ChinaXiv:20200300026. 2020

6 thoughts on “Gibt es Medikamente gegen COVID-19?

  • Danke, Sarah. Das macht doch ein bisschen Hoffnung für die Zeit, bis wir einen Impfstoff haben. Und auch für danach, denn der Impfstoff wird ja nicht immun machen. Ich hatte dieses Jahr Influenza A, trotz Grippeschutzimpfung. Das fiese Virus hat mutiert.

    • Hallo liebe Susanne,

      danke für Deine Rückmeldung, freut mich sehr, dass der Artikel für Dich hilfreich war!
      Was den Impfstoff angeht, so besteht eine gewisse Hoffnung für Immunität. Impfungen gegen viele andere Viruserkrankungen wie Hepatitis A und B, Masern, Röteln etc. machen es vor. Das Influenza-Virus bildet insofern eine Ausnahme, weil es ein bestimmtes Protein auf der Oberfläche trägt (Hämagglutinin), das gegenüber dem sogenannten Antigen-Drift besonders anfällig ist. Diesen Antigen-Drift findet man bei vielen anderen Viren nicht oder nicht in diesem Ausmaß statt… Ein Glück 🙂 Die entwickelten Grippe-Impfstoffe machen darüberhinaus meist eher einen „educated guess“ hinsichtlich der vermuteten Antigene. Ob der Impfstoff, dann tatsächlich gegen das aktuelle Influenza-Virus wirkt, ist nicht immer gesagt.

      Viele liebe Grüße,
      Sarah

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